Kilian Kerner im InterviewDesigner Kilian Kerner "Die Jubiläums-Kollektion fühlt sich nach Realitätsflucht an - weil ich das brauchte"
20 Shows bei der Berlin Fashion Week: Designer Kilian Kerner feiert am 20. Januar sein Jubiläum. Die Show, die Vorbereitung, die Suche nach Partnern - alles läuft jetzt irgendwie anders, als in den vergangenen Jahren.
Eines aber bleibt: Unsere gemeinsame Tradition, vor der Show ein Interview zu führen. Dieses Mal wurde daraus ein ausführliches Telefonat über Models und Modekritiker, genommener und wiedererlangter Freiheit und eine Traumwelt, die es auf den Laufsteg schafft.
styleranking: Der verrückteste Backstage Moment war..
Kilian Kerner: .. als Schuhe mit 2.500 Swarovski-Steinen fürs Abschlusskleid einfach verschwunden sind. Völliger Wahnsinn ist ausgebrochen. Und nach meiner allerersten Show, als alle geweint haben - das war auch ein verrückter Moment.
styleranking: Ich habe in den vergangenen zwölf Jahren gelernt, dass...
Kilian Kerner: … man draußen nicht alles sieht, was Backstage passiert und dass man dadurch etwas entspannter sein sollte.
styleranking: Der bewegendste Moment meiner Shows war, …
Kilian Kerner: … bei meiner ersten Show, als ich rausgekommen bin und meinen damaligen Freund in der ersten Reihe gesehen habe. Und die 10 Show auf der Fashion Week. Da war echt jeder Moment sehr speziell und besonders.
styleranking: Was hast du beruflich das Jahr über gemacht?
Kilian Kerner: Die meiste Zeit gar nichts. (lacht). Das Jahr 2020 hat sensationell begonnen, die Show im Januar ist extrem eingeschlagen. Es standen wirklich große Kooperation im Raum. Dann wurde innerhalb von zehn Tagen alles gecancelt. Ich habe an der Kollektion gearbeitet und ansonsten Netflix, Amazon Prime Video und TV now geguckt. Gerade kann ich nichts mehr anschauen, weil mein Kopf von den ganzen Serien zu ist. (lacht) Ich war die ersten neun Wochen komplett alleine zu Hause und bin etwas durchgedreht. Ich habe relativ viel zugenommen, weil ich weder Tennis spielen konnte, noch ins Fitnessstudio gegangen bin.
styleranking: Was waren deine Top-Serien im Shutdown?
Kilian Kerner: Die dritte Staffel von Élite. Das ist eine der besten Serien, die jemals veröffentlicht wurde. Die Besetzung ist gut und mit Arón Piper spielt der attraktivste Mann mit, den es jemals auf dieser Welt gegeben hat. Ich finde ihn und sein großes Talent so inspirierend und ich glaube, meine Männerkollektion hat auch etwas mit ihm zu tun. Dann habe ich natürlich das große Comeback von Verbotene Liebe geschaut. Als Teenager war ich ein großer Fan. Ich konnte es kaum fassen und bin vom Stuhl gefallen, als es im Sommer hieß, dass die Serie zurückkommt. How to get away with murder habe ich auch nochmal komplett angeschaut.
styleranking: Du zeigst deine Kollektion im Januar digital. Wie bewertest du virtuelle Shows?
Kilian Kerner: Ich bin so dankbar, dass Nowadays und die Berliner Senatsverwaltung alles daran gesetzt haben, das Ganze umzusetzen - auch wenn es “nur” digital ist. Dadurch, dass sie einen großen Medienpartner gefunden haben, werden es sicher noch mehr Menschen sehen, als vorher.
Aber: Ich werde immer ein Verfechter der klassischen Modenschau sein. Es gehört dazu, dass da ein Publikum sitzt. Bis heute hat meine Mutter jede Show gesehen. Jetzt darf sie nicht kommen. Das finde ich scheiße. Aber ich bin dankbar, dass es eine digitale Option gibt.
styleranking: Was passiert mit der Exklusivität von Mode, wenn die Front Row fehlt?
Kilian Kerner: Durch den Siegeszug der sozialen Medien und Streams via Instagram Live oder YouTube ist die Exklusivität in den vergangenen Jahren bereits ein Stück weit verloren gegangen. Das finde ich überhaupt nicht schlimm.
styleranking: Als du begonnen hast, saßen im Publikum andere Menschen als heute. Wie betrachtest du die Entwicklungen rund um die sozialen Netzwerke?
Kilian Kerner: Das war ein Lernprozess für mich. Als ich 2016 aufgehört habe, war Instagram nicht so populär wie heute. Als ich 2019 wieder eingestiegen bin, war ich schockiert. Ich war schockiert darüber, dass nur noch ein Redakteur je Magazin gekommen ist - wenn überhaupt. Die Madame z.B. kam früher mit acht Leuten zu meiner Show.
Die Front Rows haben sich sehr verjüngt. Ich bevorzuge noch immer die klassischen Medien, was auch daran liegt, dass ich dieses Instagram-Ding irgendwie verschlafen habe. Ich habe vor dem Jubiläum sechs Posts in acht Monaten hochgeladen. Jetzt zum Jubiläum poste ich in fünf Wochen so viel, wie sonst in einem Jahr. Ich empfinde das erste Mal Freude daran.
Ich verstehe nicht alles, was in den sozialen Medien passiert, weil vieles nicht der Realität entspricht. Ich wurde mal für ein Projekt mit YouTubern angefragt. Einige von denen habe ich mir angeschaut und ein halbes Jahr später das erste Mal live gesehen. Ich war schockiert. Die sahen ganz schön anders aus. (lacht) Außerdem stelle ich in Frage, ob es okay ist, mit 17 eine Louis Vuitton Tasche in die Kamera zu halten. Vielleicht bin ich mit 41 aber einfach zu alt für Instagram. (lacht)
styleranking: Die Modemessen wechseln den Standort von Berlin nach Frankfurt. Was macht das mit dem Fashion Week-Standort Berlin?
Kilian Kerner: Zwischen 2011 und Anfang 2015 sind alle nach Berlin gekommen. Es war unglaublich viel Presse da, die Einkäufer sind zu den Shows gekommen. Dann hat Berlin einiges verschlafen. Die Vogue-Shows haben die coolen Labels aus dem Zelt geholt und damit begann der Konkurrenzkampf zwischen der IMG und der Vogue - auch wenn das nie laut ausgesprochen wurde. Als ich 2019 zurück kam, war alles neu: Location, Veranstalter, weniger Presse, kaum Einkäufer.
Dass die Messen gehen, ist für uns Designer eine große Chance. Endlich kann der Termin verändert werden. Die Shows mussten bisher immer zeitgleich mit den Messen laufen, wodurch Berlin permanent mit den Couture-Schauen in Paris kollidierte.
Ich erinnere mich an eine einzige Fashion Week, die terminlich nicht zeitgleich mit Paris stattfand. In diesem Jahr war die renommierte Modejournalistin Suzy Menkes da und hat sinngemäß gesagt: Leute, ich würde mir das gern öfter anschauen. Das geht nicht, wenn ihr so verrückt seid und Berlin mit Paris Couture gleich legt.
Vielleicht haben die Shows jetzt die Chance, mehr internationale Relevanz zu gewinnen. Das Jahr in dem Suzy Menkes da war, hat so viel verändert für mich.
styleranking: Was waren die entscheidenden Momente in deiner Karriere?
Kilian Kerner: Mit der ersten Fashion Week ist unglaublich viel losgetreten worden. Ich war vorher immer nur der von „Nena“. Nach der Show war ich vier Jahre lang ein „Shootingstar“ Uns hatten nicht viele auf dem Schirm, wir haben Sonntag morgens um 11 Uhr einen Show-Slot bekommen. Aber das Feedback fiel großartig aus und hat alles verändert. Ich war überall in der Presse. 2009 hat die Vogue eine Doku-Serie über mich angefragt. Aus einem geplanten Teil wurden drei.
Durch den ganzen Druck ging meine zweite Show komplett nach hinten los. Darüber darf ich heute nicht mehr nachdenken.(lacht)
Suzy Menkes veranstalte in Berlin eine Designer-Ausstellung im Corner. Ich hatte das große Glück einer der vier Auserwählten zu sein. Sie lobte, wie ordentlich meine Teile verarbeitet waren. Dort entstand das bekannte gemeinsame Foto mit ihr. Die Fotografen haben fünf Minuten fotografiert und sie hat noch darüber gelacht, warum alle so einen Aufriss machen. Das wird doch eh nur 1-2 mal veröffentlicht. Da hatte sie sich ziemlich getäuscht. (lacht)
Später hat sie in einem Interview auf die Frage nach dem nächsten großen deutschen Designer meinen Namen genannt. Das hat im inneren Zirkel der Modeszene hohe Wellen geschlagen und viele Türen geöffnet.
Zwei Jahre später haben wir innerhalb von 1 1/5 Jahren 16 Shop in Shops in großen Kaufhäusern in der UK eröffnet. Ich habe bei der London Fashion Week gezeigt. Ich war bei meiner 10. Jubiläumsshow der erste Designer, der zehn Shows in Folge in Berlin gezeigt hat. Dann habe ich die Zweitlinie Kilian Kerner Senses herausgebracht und in 14 Ländern verkauft. Das ging damals alles so schnell und brachial.
styleranking: Was bedeutet das Wort "Karriere" für dich persönlich?
Kilian Kerner: Damals habe ich Erfolg und Karriere daran gemessen, in welche Shops ich reinkomme. Das bildet den größeren Erfolg ab, als ständig in der Presse besprochen zu werden. Jetzt fahre ich ein ganz anderes Konzept. Ich entwerfe eine Kollektion, die ich kurze Zeit nach der Show verkaufe und setze sonst Design-Kooperationen um.
KXXK ist auch kein Label sondern jede Saison eine Kooperation mit mir selber. Ein Label gründe ich dann, wenn es zeitlich passt. Momentan ergibt da keinen Sinn für mich. Aktuell kann ich mich ausprobieren und ich fühle mich freier in meinen Entscheidungen, denn je.
Dieses Jahr bin ich im ersten halben Jahr bei zwei TV-Projekten und einer YouTube-Show, die über ein paar Monate geht, dabei. Das hätte ich früher nicht umsetzen können, weil es der Aussage meiner Marke widersprochen hätte. Jetzt passt es - und diese Freiheit genieße ich.
styleranking: Was kannst du heute gelassener wahrnehmen?
Kilian Kerner: Alles. (lacht) Früher dachte ich: Es müssen mindestens zehn Leute in der Front Row sitzen, die abgelichtet werden. Ich muss mindestens 15 Red-Carpet-Looks im ersten halben Jahr vorweisen. Ich war bei allem verkrampft und viel zu ehrgeizig. Der Ehrgeiz ist geblieben, ich agiere aber deutlich entspannter.
Ich stand unter einem wahnsinnig großen Druck. Ich war relativ jung, als ich plötzlich eine Aktiengesellschaft am Arsch kleben hatte. Das wollte ich nie und mir war nicht bewusst, was da passiert. Das war ein Druck, den ich nie wieder spüren möchte und der mich damals krank gemacht hat. Ich bin zu einem Menschen geworden, den ich selber gehasst habe.
styleranking: Ich erinnere mich gut an unser erstes Interview 2019 ganz kurz vor deiner Comeback-Show. Alle sind Backstage hektisch rumgerannt und du warst die Ruhe selbst.
Kilian Kerner: Da war ich aber extrem aufgeregt. An dem Morgen hatte ich den totalen Nervenzusammenbruch. Ich hab alles auf eine Karte gesetzt. Wir hatten für alles zwei Monate Zeit - die Kollektion, den Online-Shop, den Film und die Party. Wir kamen mit den Presseanfragen kaum hinterher und alles war ein Durcheinander. An dem morgen dachte ich: Ich gehe da nicht mehr hin. (lacht)
styleranking: Welche Models sind dir nachhaltig im Kopf geblieben?
Kilian Kerner: Ich mochte Felix Schöpgens immer sehr gerne. Ebenso Franzi Müller und Sarah Batt und natürlich Toni Garrn. Einige Models sind seit dem Comeback jede Show gelaufen, was uns jetzt in Zeiten fehlender Castings sehr hilft. Ein Model muss die Kleidung mit Leben füllen. Es gibt da dieses eine Model, Konstantin, dem steht einfach jeder einzelne Look. Ich achte bei der Modellauswahl sehr auf Vielfalt und mag es wenn verschiedene Kulturen auf dem Laufsteg vertreten sind.
styleranking: Deine kommende Show trägt den Titel "Traumwelten". Warum?
Kilian Kerner: Ich saß wochenlang allein auf meinem Sofa und habe mich gefragt, wie alles weitergeht. Ich war erschöpft vom Nichts tun, habe meine Augen geschlossen und mich gefragt: Wie entsteht aus dieser Situation etwas Gutes? Mir wurde klar, dass ich in meiner Arbeit eine Welt erschaffen kann, die so gestaltet ist, wie ich es gerade will. Ich habe viel Zeit mit Träumen verbracht.
Die Kollektion präsentiert sich sehr clean, sehr aufgeräumt aber mit vielen Details. Sie wirkt zurückhaltender, als die vergangenen beiden Shows. Alles fühlt sich an, als würde man die Welt durch einen transparenten Schleier wahrnehmen. Die Kollektion fühlt sich nach Realitätsflucht an - weil ich das brauchte.
styleranking: Es existiert ja auch gerade kein Ort auf dieser Welt, wo einfach alles gut ist.
Kilian Kerner: Alles, womit ich mich privat beschäftigt habe, war einfach weg. Ich bin ein großer Tennis-Fan, spiele selbst. Das war nicht möglich. Fitness ist auch weggebrochen. Ich dachte echt: Scheiße, hätte ich mal mehr Hobbies. Es gab keinen anderen Ort, der Realität zu entkommen, als die Träume. Und da wollte ich zwischenzeitlich gar nicht mehr weg.
styleranking: Vielen Dank für das Interview, Kilian.
Kilian Kerner zeigt "Traumwelt" am 20. Januar 2021 im Rahmen einer digitalen Show in Berlin. Wer live dabei sein möchte, findet bei vogue.de einen Livestream.