KommentarWarum mir TikTok den Glauben an das Gute zurückgibt

04.03.2021 / 13:20 Uhr

Düsseldorf. 

“Mach das Ding aus, du bekommst schon viereckige Augen.” Ich erinnere mich lebhaft an diese mahnenden Worte meiner Eltern. Früher war “das Ding” der Fernseher, heute habe ich beim Blick auf die Bildschirmzeit meines Smartphones unwillkürlich diesen Satz im Kopf. Neben den üblichen Verdächtigen (Instagram und diverse Onlineshops) treibt vor allem eine App meinen Konsum in die Höhe. TikTok. Ich werde eingesogen und - Gott weiß nach wie langer Zeit - wieder ausgespuckt. Verschenkte Lebenszeit könnte man jetzt sagen. Auf mich aber wirkt TikTok wie ein Good-Vibes-Booster, der mir den Glauben an das Gute zurück gibt.

Anspruchsvolle Unterhaltung? Das kann und muss TikTok nicht bieten. Gute Laune gibt's dafür massig. Copyright: Shutterstock

Mit dem Smartphone halten wir nicht nur das Wissen der Welt in unseren Händen, sondern auch all ihre Probleme. Im Minutentakt blitzen Push-Meldungen der ZDF heute-App auf. Die Twitter-Gemeinde nimmt sich das nächste gesellschaftspolitische Problem zur Brust. Auf LinkedIn wird live diskutiert. Ich gebe mir das alles. Wenn’s passt, packe ich abends noch Markus Lanz bzw. Karl Lauterbach drauf. Wem die Sendung gehört, lässt sich nicht mehr eindeutig zuordnen. Debatte, Bildung, immer up to date sein - ich finde das wichtig. Und anstrengend! Diese Sichtweise ist privilegiert, das ist mir bewusst. Und doch überrollt mich die Ernsthaftigkeit dieser Welt manchmal derart, dass mir das Herz schwer wird.

Jetzt ist TikTok sicher eine alberne Flucht vor der Realität. Und auch auf dieser App existiert nicht nur Gute-Laune-Content. Aber in meinem Feed irgendwie schon. “Ich bin doch keine Maschine” singt Tim Bendzko, “Ich bin eine Biene”, antwortet ein Zeichentrickflugtier. Ich lache mich kringelig. Auf die Battle Rap-Szene aus 8 Mile mischt jemand “Country Roads” und ich muss minutenlang laut lachen. Bei Merkel-Memes bin ich dann ganz raus. Und nach jedem Schmunzeln, Lächeln oder lauten Lachen weiß ich: Mit einem Wisch erwartet mich vielleicht der nächste Kick.

Um das deutlich zu sagen: TikTok hat selten etwas mit geistreicher Satire, wenn auch häufig mit großem komödiantischen Talent zu tun. Manchmal tanzt da ein Typ mit Vollbart in einem Bettlaken aus Gold. Sam Ryder sing mit einer Inbrunst, dass man ihn gar nicht unsympathisch finden kann. Ein anderes Mal spielen zwei Jungs mit Dudelsack “Fang den goldenen Schnatz”. Und zwischendurch parodieren Leute Musikvideos aus den 2000ern.

Die Kreativität und Vielfalt der Menschen auf dieser App, ruft immer wieder einen Gedanken in mir hervor: Wenn so viele Menschen so viel Humor in sich tragen, dann gibt es Hoffnung. Zehntausende User:innen aus zig unterschiedlichen Ländern toben sich kreativ aus, zeigen Kochrezepte für die einen, Bastelvideos für die anderen, Fan-Fiction für die nächsten und Klamauk für mich und andere, die auf Dad-Witze und albernen Humor stehen. Das ist toll.

Den Austausch mit Freunden, einen Spaziergang an der frischen Luft, ein gutes Buch - all das kann TikTok nicht ersetzen. Aber wenn wir alle Ideale des Selbstoptimierungsalltags mal auf Seite schieben, besteht die Wahrheit doch oft aus Berieselung in Pixelform. Die darf dann - wenigstens manchmal - so richtig gute Laune machen. Damit lässt sich auch Markus Lanz besser ertragen.

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