Lea-Sophie Cramer: “Ich glaube an starke Corporate-Influencer, anstelle von starken Firmen-Accounts”
Von Katharina Born & Franziska Gajek
Wer Lea-Sophie Cramer zuhört, kann gar nicht anders, als motiviert an die Arbeit zu gehen. Sie ist Gründerin, Unternehmerin und Executive Coach, gehörte bereits zu den "30 under 30" von Forbes, führt zusammen mit Verena Pausder den erfolgreichen Podcast Fast & Curious und zählt bei LinkedIn zu den wichtigsten Stimmen dieses Landes. Klar, dass sie dabei ist, wenn es um das Thema Female Growth geht.
Les Ateliers Lillet widmet sich genau diesem Topic und lädt inspirierende Frauen zu Erfahrungsaustausch, Know-how Aufbau und gegenseitiger Inspiration nach Düsseldorf. Das zweitägige Programm umfasst zahlreiche Keynotes, Workshops und ganz viel Networking. Lillet schafft damit einen Raum, indem sich Visionärinnen begegnen können.
Wir haben Lea-Sophie Cramer dort zum Interview getroffen und wollten wissen: Warum ist es heute noch wichtig, speziell Frauen anzusprechen? Und welche Networking-Skills helfen eigentlich, um von Events wie diesem zu profitieren? Außerdem berichtet uns Lea-Sophie Cramer vom Wert der Pause und dem Potenzial sozialer Medien für Brands.
styleranking: In deiner Instagram-Bio steht “What if I fall? Oh, but my DARLING, what if I fly? Wann hast du beruflich das Gefühl zu fliegen?
Lea-Sophie Cramer: Jedes Mal, wenn ich etwas Neues probiere, denke ich: Oh, I’m flying! Ich versuche, Neues in jeden Tag zu integrieren. Wenn ich zum Beispiel Vorträge halte, verändere ich kleine Dinge, um mich selbst aus der Komfortzone zu locken. Ich befinde mich permanent in einem Work-in-Progress-Modus. Das Schöne daran ist: Wenn man so oft fliegt und dann mal fällt, ist das nicht schlimm. Fallen gehört dazu, nur dann werden wir besser.
styleranking: Musst du dir vornehmen, z.B. jeden Tag eine kleine Herausforderung zu meistern oder passiert das von allein?
Lea-Sophie Cramer: Das ist mir in Fleisch und Blut übergegangen. Ich bin ein Mensch, der gern Neues ausprobiert und Vieles entsteht ganz impulsiv. Früher mussten meine Eltern mich etwas motivieren. Heute sage ich: Da ist eine neue Herausforderung, gib sie mir, ich versuch’s.
styleranking: Wie empfindest du den Umgang mit Misserfolgen bzw. dem Scheitern?
Lea-Sophie Cramer: Scheitern ist weder in unserer Kultur, noch in unserem Land oder unserem Umfeld verankert, das sehen wir gerade an prominenten Beispielen. Niemand möchte scheitern, das verstehe ich. Wir sollten uns aber erlauben, Fehler zu machen, damit wir lernen können. Alles, was wir können, haben wir irgendwann zum ersten Mal gemacht. Als Kind sind wir viele Male hingefallen, bevor wir Laufen konnten. Das Feedback war der Boden. Wenn man sich dieses Bild vor Augen führt, erkennt man: Wir brauchen eine Rückmeldung, müssen scheitern und fallen, um zu lernen. Deswegen finde ich, wir sollten mehr Lernzeit einpreisen. You don’t know, if you don’t try.
Gleichzeitig mag ich es nicht, die Fehlerkultur zu hypen. Nur noch über Fehler und Misserfolge zu reden, ist zu viel. Am Ende sollte der Lernprozess im Vordergrund stehen.
"Schöne Bilder sind wichtig und toll, aber ich möchte auch lernen"
styleranking: Wie wichtig ist Social Media für deine Arbeit?
Lea-Sophie Cramer: Social Media ist für mich ein Feedback des Marktes. Ich kann dort mit den Menschen interagieren, die ich erreichen möchte, die ich inspiriere oder die mich inspirieren. Zudem erkenne ich dort, was relevant ist oder was dem Zeitgeist entspricht, welche Menschen gehypt werden und wer fallengelassen wird. Das lässt sich auf Social Media echter und schneller in Erfahrung bringen, als gefiltert durch Redaktionen. Da besteht immer ein Zeitverzug.
Ich sehe Social Media als meine Stiftung zu Lebzeiten, weil ich dort weitergeben möchte, was ich gelernt habe. Vielleicht müssen so einige Menschen die Fehler, die ich gemacht habe, nicht wiederholen. Gleichzeitig profitiere ich vom Wissen anderer. In einer disziplinierten Nutzung mag ich die sozialen Medien sehr, auch wenn das viel Selbstbeherrschung erfordert.
styleranking: Du bist sehr präsent auf LinkedIn. Wie nimmst du diese Plattform im Vergleich zu anderen wahr?
Lea-Sophie Cramer: Ich mag LinkedIn, weil die Plattform meine Wirtschaftsbubble abbildet. Ich folge bei Instagram natürlich Fashion Influencern. Aber mich interessieren auch Anwälte, Handwerker oder Unternehmer und die finde ich bei LinkedIn eher. Schöne Bilder sind wichtig und toll, aber ich möchte auch lernen. Deswegen mag ich LinkedIn und nutze es häufig und viel. Das Netzwerk wächst sehr krass, es scheint vielen so zu gehen.
styleranking: Führst du bei LinkedIn andere Konversationen, als bei Instagram?
Lea-Sophie Cramer: Ja. Mir stehen dort mehr Zeilen zur Verfügung und ich kann ganze Artikel schreiben. Es ist möglich, sich ausführlich mit Themen auseinanderzusetzen. Ich hab kürzlich über Vulnerable Leadership geschrieben und der Artikel ist über eine halbe Million Mal angeklickt worden. Das würde bei Instagram niemanden interessieren.
styleranking: Gibt es Unternehmen, denen man bei Instagram oder LinkedIn unbedingt folgen sollte?
Lea-Sophie Cramer: Ich glaube an “Menschen folgen Menschen”. Wir finden nicht die Hülle spannend, sondern die Person dahinter. Deswegen glaube ich nicht an starke Firmen-Accounts, sondern an starke Corporate-Influencer.
Ich finde, bei Instagram war es sehr spannend, About You zu beobachten. Die haben Corporate Influencerin Melissa Dobrić zum Gesicht ihres Accounts gemacht. So ist es About You gelungen, sich als eine von wenigen Marken auf Instagram, menschlich zu präsentieren.
Ich finde auch spannend, wie sich Start-Ups bei Instagram positionieren oder Marken, die verstanden haben, dass sie Menschen zeigen müssen - so wie Westwing mit Delia Lachance oder Ooia mit Kati Ernst. Hier steht die Person im Fokus, aber auf dem Firmen-Account.
Außerdem folge ich Marken wie Nike oder Supreme, weil die tolle Athleten zeigen und gute Looks präsentieren. Auch die BVG hat einen super Instagram-Account. Die sind sehr selbstironisch, da bleibe ich hängen. Genauso Statista aus Hamburg, die spannende Statistiken teilen.
Accounts müssen inspirieren, dir eine Welt aufmachen, die du nicht kennst oder unterhalten, was am besten mit Humor funktioniert. Es muss einen Grund geben, warum ich einer Marke folge. Unternehmen müssen sich fragen: Warum sollten Menschen meinen Account abonnieren? Bei LinkedIn könnte ich keine Firma nennen, der ich folgen wollen würde.
"Ich glaube, echtes Zuhören und echtes Interesse zahlen sich im Networking aus"
styleranking: Events sind mit großer Wucht zurück - findest du, dass sich Networking im Vergleich zur Pre-Corona-Zeit verändert hat?
Lea-Sophie Cramer: Ich glaube, wir suchen gerade den richtigen Weg. Alle freuen sich, zurück zu sein. Gleichzeitig ist es etwas viel. OMR mit 75.000 Menschen in Hamburg war einfach krass, das hat sich fast beklemmend angefühlt. Dann hast du wieder kleinere Events, wie das von Les Ateliers Lillet heute, die exklusiver, nahbarer und individueller sind. Ich glaube, dass sich Events mehr Richtung Experience orientieren, um den Gästen eine einzigartige Erfahrung zu bieten. Das physische Event muss einen Unterschied machen, damit es sich lohnt, hinzugehen.
styleranking: Was ist deine wichtigste Networking-Fähigkeit und was würdest du gern in Zukunft ausbauen?
Lea-Sophie Cramer: Neugier. Ich bin gespannt auf Menschen und darauf wer sie sind, was sie tun und warum. Ich glaube, echtes Zuhören und echtes Interesse zahlen sich im Networking aus.
In Zukunft möchte ich noch genauer darauf schauen, wen ich wirklich kennenlernen möchte. Ich komme oft zufällig mit Menschen zusammen und habe dann Glück, dass es spannende Leute sind. Ich könnte da künftige noch strukturierter rangehen.
styleranking: Bei Les Ateliers Lillet geht es um Female Growth - wie füllst du diesen Begriff mit Inhalt?
Lea-Sophie Cramer: Wir kennen das aus der Tier- und Pflanzenwelt: Wer nicht wächst, der stirbt. Wir müssen alle wachsen. Darin liegt eines unserer Grundbedürfnisse und eine große Sinnhaftigkeit für unser Leben. Damit ist nicht zwingend Umsatz- oder Gewinnwachstum gemeint, sondern vielmehr Persönlichkeitswachstum.
Als Frauen begegnen uns noch Herausforderungen, die Männer schon gelöst haben. Deswegen müssen sich Frauen mehr strecken und gegenseitig unterstützen. Ich finde sehr wichtig, dass es Events gibt, die uns genau an dieser Stelle unterstützen.
styleranking: Was können Frauen im Alltag tun, um sich gegenseitig in ihrem Wachstum zu unterstützen?
Lea-Sophie Cramer: Wenn man Influencer-Angebote, Talk-Angebote, Job-Angebote, etc erhält, sollte man überlegen, für wen das passen könnte, bevor man absagt. Das mache ich zum Beispiel immer, wenn ich ein Beirat-Angebot bekomme, was inhaltlich oder zeitlich nicht passt. Dann sage ich: Für mich ist es leider nichts, aber hier sind zwei Personen, die toll zu euch passen könnten. Dadurch habe ich nebenbei schon zwischen fünf und zehn Beiratsmandate besetzt.
Wir sollten generell öfter Teilen, in sämtlichen Bereichen. Dabei zählt: Unterstützung ist es erst, wenn die andere Person mit der Info etwas Konkretes anfangen kann. Deswegen, nicht nur erzählen, dass man in eine Immobilie investiert hat. Vielmehr sollte man teilen, warum man das tut, wie das funktioniert und wohin es führt. Wir sollten das Teilen praktisch machen.
Im Leben geht’s um’s Geben. Das merkt jeder, der etwas weitergibt, auch wenn es uns anders antrainiert wird. Uns wird erzählt: Wenn ich ein Stück vom Kuchen bekomme, bekommt jemand anders weniger. Das ist nicht der Fall. Wir machen einfach den Kuchen größer.
"Ich bin Gründerin, zufällig weiblich"
styleranking: Inwiefern können auch Männer Teil der Lösung sein und was können sie zu Female Growth beitragen?
Lea-Sophie Cramer: Männer müssen Teil der Lösung sein. Ohne sie können wir keine Veränderung herbeiführen. Unsere Gesellschaft wird derzeit von Männern geführt. Wir wollen keine Anti-Männer-Gesellschaft oder eine Frauen-gegen-Männer-Gesellschaft. Wir lieben Männer und die uns. Wir wollen ein “Auch” und ein “Und”. Trotzdem finde ich Events wie Les Ateliers Lillet wichtig, weil Frauen hier in einem geschützten Rahmen Unsicherheiten teilen können, die Männer vielleicht weniger nachvollziehen können. Der nächste Schritt muss allerdings sein, die Erkenntnisse in die Firmen oder privaten Haushalte zu tragen.
styleranking: Findest du es richtig, weibliches Unternehmertum als solches noch herauszustellen und extra zu erwähnen?
Lea-Sophie Cramer: Ich habe früher immer gesagt, dass ich kein Female Founder, sondern einfach Founder bin. Ich bin Gründerin, zufällig weiblich. Ansonsten hat das keine Aussagekraft. Gleichzeitig habe ich durch meine Arbeit gemerkt, dass es noch zu wenige von uns gibt. Und, dass es für andere wohl etwas bedeutet, dass ich eine Frau bin. Nämlich für alle, die noch Founder werden wollen oder die mit Unsicherheiten kämpfen. Für alle, die den Schritt der Gründung gegangen sind, ist das Geschlecht unwichtig. Für alle anderen ist es relevant zu sehen, dass es geht, wenn man eine Frau ist. Wir müssen das also solange benennen, bis es nicht mehr notwendig ist.
styleranking: Du berichtest in einem Podcast, dass du manchmal das Gefühl hast, ruhen zu müssen, damit die Seele nachkommen kann. Wann weißt du, dass du ausreichend Pause eingelegt hast?
Lea-Sophie Cramer: Ich stehe mir so nah, dass ich sofort spüre, wenn ich eine Pause brauche. Ich merke das an körperlichen Wehwehchen, an emotionaler Gestresstheit oder an einer kurzen Leitung und weniger Kreativität.
Die Pausen können ganz unterschiedlich aussehen. Dazu gehört zum Beispiel, dass ich nach Amorelie nicht das nächste große Ding gegründet habe. Ruhe kann auch ein Urlaub sein oder ein Wochenende ohne Handy. Ich schaue sehr auf das, was ich gerade brauche. Wenn ich erschöpft bin, bringe ich niemandem etwas - weder meinem Umfeld, noch der Gesellschaft oder mir selbst. Meine erste Pflicht besteht darin, auf mich aufzupassen. Ich muss darauf achten, mit meiner Energie hauszuhalten. Ich glaube, viele haben dafür ein Gespür, sind aber nicht ehrlich genug, danach zu leben und die Konsequenzen zu tragen.
styleranking: Ist es gesellschaftlich akzeptiert, klare Grenzen zu ziehen und zu kommunizieren, dass man eine Pause braucht?
Lea-Sophie Cramer: Das Wichtigste ist, sich diese Grenze selbst zuzugestehen. Wir sollten ein Selbstverständnis dafür entwickeln, “Ja”, “Nein” oder “Später” zu sagen. Wenn ich mich entschuldige und erkläre, entsteht Chaos. Wenn ich aber sage: “Tut mir leid, ist gerade nicht mein Thema - aber vielen Dank für die Anfrage”, akzeptieren das die meisten Menschen.
Ich denke, jedes Nein zu jemand anderem, ist ein Ja zu dir selbst. Du hast die Verpflichtung, das zu tun, was nur du in diese Welt tragen kannst. Dich gibt es nur einmal, und nur du kannst Dinge auf deine Weise tun. Das macht es okay, klar zu sein, was wir leisten wollen und was nicht. Außerdem sind die meisten Menschen dankbar für Klarheit.
styleranking: Vielen Dank für das Interview, Lea-Sophie.