Oliver Jopke: "Relevanz entsteht nicht über Trends, sondern über Identität"
Eigentlich wollten wir mit Oliver Jopke über KPIs und die Professionalisierung im Influencer Marketing sprechen. Dann wurde es deep. Denn Oliver und seine Agentur Studio O brennen für Impact-Kampagnen und vertreten ausschließlich Influencer:innen, die einen gesellschaftspolitischen Mehrwert schaffen wollen. Er engagiert sich in der LGBTQIA+ Community, realisiert Pro-Bono-Kampagnen für die Ballroom-Szene und wird nicht müde, für die inhaltliche Aufrichtigkeit von Social Media-Kampagnen zu plädieren.
Als Artist Manager und Marketing Manager kennt Oliver die Needs von Creators ebenso, wie die Wünsche von Marken. Also fragen wir: Wie gelingen Impact-Kampagnen abseits von Pink- oder Greenwashing? Und was müssen Agenturen und Influencer:innen können, die solche Kampagnen realisieren?
styleranking: Welchen Weg bist du gegangen, um schließlich deine eigene Agentur zu gründen?
Oliver Jopke: Mit 19 Jahren habe ich meinen Blog gestartet. Ich habe zu dieser Zeit Kommunikationsmanagement studiert und wollte das theoretische Wissen aus dem Studium praktisch anwenden. Ich habe eine Hands-on-Mentalität. Also gründete ich mit meinem damaligen Freund Zeitgeschmack. Wir haben genetzwerkt und eine Reputation in der Fashion Branche aufgebaut. Instagram, Zalando und Co. gab es noch nicht. Durch SEO-Marketing konnte man in dieser Zeit tolle Reichweiten erzielen. Wir hatten pro Tag 30.000 Views, sind in den Google Trends gelandet. Nach 4 bis 5 Jahren wurde die Branche immer professioneller, es kamen mehr Player in den Markt und man musste sich inhaltlich spezialisieren. Dann kam Instagram. Die Selbstinszenierung dort fiel mir schwer, wir hatten ja mit dem Blog allgemein über Mode berichtet und nicht über uns selbst.
Nachdem die Ära des Blogs vorbei war, bin ich in eine PR- Agentur gegangen. Die Perspektive der Influencer:innen und Blogger:innen war mir bekannt, jetzt wollte ich die andere Seite kennenlernen. Bei Bold Berlin habe ich für Brands wie Kenzo, Urban Outfitters, Zalando, Eastpak oder Puma gearbeitet und sehr von meinen Influencer-Kontakten profitiert. Nach drei Jahren habe ich gekündigt und wollte in Indien eine Yoga-Ausbildung machen. Dann hat mich Masha gefragt, ob ich ihr Management übernehmen könnte. Wir kannten uns schon lange. Indien war damit raus und ich habe mich in die Arbeit gestürzt. Nach einem halben Jahr kam Frankie dazu, mit der ich auch befreundet bin. Mittlerweile betreuen wir mit Masha und Frankie insgesamt sechs Talents. Darunter Willy, Anuthida, Hannah und Strify.
Heute arbeiten wir mit Kunden wie Pepe Jeans, Headspace, H&M oder Klarna.
styleranking: Warum sind dir Impact-Kampagnen wichtig?
Oliver Jopke: Ich bin selbst queer und mir ist wichtig, in der Community vernetzt zu sein und mit meiner Arbeit zu unterstützen. Impact-Kampagnen beinhalten einen emotionalen Wert und wir lernen etwas über unsere Gesellschaft und über uns selbst.
Gesellschaftspolitische Themen wie die Gender-Debatte oder Feminismus erfordern eine sensible Kommunikation. Es handelt sich hier nicht um Trends, sondern um ein Social Movement. Im Fokus stehen nicht der Verkauf, sondern das Brand Image und die Möglichkeit, in der Gesellschaft etwas zu bewegen.
"Brands kommen auf uns zu, weil sie genau wissen, dass wir in entsprechenden Themen spezialisiert sind"
styleranking: Welche Skills hat dein Team, um sensible Kampagnen-Themen anfassen zu können?
Oliver Jopke: Es ist essentiell, sich eingehend mit den Talents, die wir betreuen, zu beschäftigen. Es kostet Zeit, sich in Themen einzudenken und Erfahrungen zu sammeln. Dabei ist wichtig, Freunde in verschiedenen Communities zu haben, belesen und immer auf dem neuesten Stand zu sein. Man sollte ein offener Mensch sein, den richtigen Personen auf Instagram folgen und den Willen haben, sich weiterzuentwickeln oder aktiv an einem Movement teilzunehmen.
Brands kommen auf uns zu, weil sie genau wissen, dass wir in
entsprechenden Themen spezialisiert sind und sensibel kommunizieren. Wir
fühlen uns mit vielen Protagonist:innen
emotional verbunden und kennen uns
teilweise schon lange.
styleranking: Wonach suchst du neue Creators aus, die du unter Vertrag nimmst?
Oliver Jopke: lch suche nicht aktiv, das ergibt sich eher. Ich folge vielen Leuten, weil ich sie inspirierend finde. Darüber entsteht der Kontakt. Anuthida kam zu einem Zeitpunkt zu uns, als ihr klar war: Ich möchte keine klassische Influencerin mehr sein, ich möchte mich entwickeln und brauche dazu einen Partner, der mich versteht und akzeptiert. Das hat mich in den Bann gezogen. Wenn das Gefühl stimmt und ich merke, dass da ein Rohdiamant vor mir steht, wird es interessant.
Super spannend finde ich auch, wenn Influencer:innen eine Botschaft und ein Thema haben, aber sich aufgrund des Drucks von außen noch nicht trauen, damit raus zu gehen. Leute wie Strify sind vielen Kommentaren und Hate Speech ausgesetzt. Er hat trotzdem die Kraft, Menschen zu erreichen, die vielleicht noch mehr Angst haben. Gemeinsam feilen wir an dieser Rolle. Mir geht es darum, Personen langfristig und nachhaltig aufzubauen.
styleranking: Wie stehst du zum Begriff Influencer:innen?
Oliver Jopke: Da fühle ich mich an die Diskussion zum Begriff Blogger erinnert. Früher wollte niemand so genannt werden. Das Gleiche passiert jetzt mit Influencer:innen. Das liegt daran, dass viele Menschen die Kraft des Influencing unterschätzt haben. Heute ist klar: Social Influence existiert wirklich - nicht nur im Sinne von Like-Zahlen oder Swipe-Ups. Schauen wir uns den Case Cristiano Ronaldo und Coca Cola an. Da sehen wir, wie groß der Einfluss solcher Persönlichkeiten auf sämtlichen Ebenen ist.
Mir ist das Wort eigentlich egal. Ich finde Content Creator genauso okay, wie Influencer:in. Die wichtige Frage lautet: Womit übt die Person Einfluss aus. Anuthida fokussiert sich z.B. auf Themen wie Mental Health und macht künstlerisches, artistic Influencing. Da reicht der Begriff Content Creation nicht aus, um ihre Arbeit zu beschreiben. Selbiges gilt für Masha mit ihrer Politik oder Strify mit seinem Aktivismus. Influencing mit Hinblick auf gesellschaftspolitische Themen finde ich total positiv.
Natürlich kristallisieren sich verschiedenste Arten von Influencer:innen heraus. Brands müssen lernen, dass es Performance Influencer:innen, Brand Image Influencer:innen und Soziale Influencer:innen gibt - aber auch solche, die einfach nur Produkte in die Kamera halten. Alle haben ihre Daseinsberechtigung, aber man sollte die Kampagnen nicht vermischen. Es macht keinen Sinn, Social Movement-Kampagnen mit üblichen KPIs zu messen. Hier spielen andere Größenordnungen eine Rolle.
"Cancel Culture ist eine große Sache und Sensibilität wichtiger, als je zuvor"
styleranking: Wie bringt ihr die Erwartungshaltung von Kunden und Influencer:innen zusammen?
Oliver Jopke: Hier ist viel Kommunikation nötig. Wenn wir eine Performance-Kampagne fahren, agieren wir mit klassischen KPIs als Größenordnung der Erfolgsmessung. Bei Kampagnen, die Feminismus, LGBTQIA+ oder Gender im Fokus haben, sind die KPIs stark mit dem Sentiment verbunden. Wenn ich mit einer Person arbeite, die nur eine kleine Nische erreicht - allerdings sehr treffsicher - kann ich keinen TKP veranschlagen. Dann reden wir später über 50 Euro Entlohnung. Das steht in keinem Verhältnis zur Leistung.
Geht es nur um Sales, sind Swipe-up-Zahlen, Abverkäufe und Co. ein guter Wert. Am Brand Image allerdings arbeiten Marken teilweise jahrelang, Influencer:innen ebenso. Ein cooles Produkt reicht dazu nicht aus und Regenbogen-Shirts erst recht nicht. Das müssen Marken lernen. Hier beraten wir sehr intensiv und wissen bei sensiblen Themen genau, was geht und was unauthentisch wirkt.
styleranking: In welche Fallen tappen Marken, die eine Image-Kampagne umsetzen wollen?
Oliver Jopke: Pinkwashing oder Greenwashing sind ein großes Thema. Wenn deine Marke nicht 100 Prozent green ist, ist das okay. Aber dann sollte man das kommunizieren und sagen: Wir machen uns jetzt auf den Weg, wer kommt mit? Cancel Culture ist eine große Sache und Sensibilität wichtiger, als je zuvor.
styleranking: Denkst du, das Marken verstehen, dass man für Mut und gesellschaftspolitischen Einsatz entlohnen sollte, statt nur für Engagement Rate und Co.?
Oliver Jopke: Ich glaube, wir sind noch nicht an diesem Punkt. Gerade durch den Struggle während der Pandemie sind Performance-Kampagnen sehr wichtig geworden.
Ich sage immer: Natürlich könnt ihr Codes raushauen und mit Leuten arbeiten, die Abverkäufe unmittelbar positiv beeinflussen. Aber die Frage ist, wie lange Brand Image und Desire erhalten bleiben. Stell dir mal vor, Dior oder Chanel würden permanent 20 Prozent-Kampagnen fahren. Die Produkte würden an Attraktivität verlieren.
Es gibt durchaus Beispiele für Marken, die diese Entwicklung auf dem Schirm haben und nach einer Flut von Performance-Kampagnen auf Impact-Kampagnen umsteigen. Die wissen, dass sie eine Zielgruppe langfristig mit Werten und nicht mit Rabattcodes und Produkten binden. Kunden wissen sehr genau, wie sich die Gesellschaft entwickelt.
styleranking: Heißt das, Brands sollten vollständig auf Impact-Kampagnen umschwenken?
Oliver Jopke: Langfristig werden Agenturen und Brands ihre Performance-Leute haben, die Produkte schnell verkaufen können. Das gilt vor allem für Produkte mit einer geringen Haltbarkeit. Und sie werden mit Impact-Leute arbeiten, die Marken und Produkten einen Wert geben, Storylines platzieren und Identifikation ermöglichen.
"Die Leute überlegen zu selten, was hinter den Problemen der Community steckt"
styleranking: Wie geht ihr mit Anfragen um, die besagtes Pinkwashing oder Greenwashing enthalten könnten?
Oliver Jopke: Es ist schön, in der Lage zu sein, Kooperationen abzulehnen. Was den Pride Month betrifft, muss ich deutlich sagen: Für viele Protagonist:innen ist dieser Monat finanziell sehr wichtig, weil sie da teilweise Geld verdienen, was für das ganze Jahr reichen muss. Drag-Persönlichkeiten z.B. generieren gerade kein Geld über ihre Auftritte und haben vielleicht nur den Pride Month, um Geld zu verdienen. Wenn du weißt, dass eine Kampagne jetzt deine Miete bezahlt, ist es legitim, sie umzusetzen.
Aber: Wenn Brands anfragen, die 200 Euro zahlen wollen, sage ich das ab. Davon kann niemand leben und es geht nicht, dass Marken vom Image der Influencer:innen profitieren, ohne sie dafür fair zu bezahlen. Das hängen wir nicht an die große Glocke, aber es kommt vor.
Ich habe auch schon Kampagnen gesehen, wo Pride passiert und dann sehe ich trotzdem eine Männer- und eine Frauenkollektion bei der Marke. Da frage ich mich, wie sehr sich diese Marken mit dem Genderthema wirklich auseinandersetzen . Die Leute überlegen zu selten, was hinter den Problemen der Community steckt.
styleranking: Worum geht es im Kern solcher Impact-Kampagnen?
Oliver Jopke: Darum, Identifikationsfiguren zu schaffen. Menschen zu erreichen, die irgendwo in ihrem Dorf sitzen und sich ausgestoßen fühlen. Ihnen müssen wir zeigen: Du bist nicht allein und du wirst geliebt und geschätzt, so wie du bist. Das müssen Marken verstehen, wenn sie mit diesen Themen Werbung machen wollen.
Diese Wertschätzung fehlt mir oft, da könnte ich weinen. Es ist ein krasses Problem, dass z.B. vergessen wird, dass die Ballroom-Community ein Safespace für Black-, Trans- oder Gaypeople ist. Diese Menschen - so oft Gewalt und Diskriminierung ausgesetzt - brauchen diesen Ort. Es handelt sich hier nicht um einen Trend, weil die Serie Pose gerade durch die Decke geht. Dieses Bewusstsein muss in Kampagnen-Produktionen einfließen.
styleranking: Wie kann diese Wertschätzung für die Realität der Menschen, mit denen man da gerade seine Marke bewerben möchte, gelingen?
Oliver Jopke: Wir müssen empathisch und aufmerksam den Betroffenen zuhören, die die Kraft haben, sich zu öffnen. Deswegen ist es so wichtig, Aktivisten zu folgen, zuzuhören und Beiträge auch aktiv in der eigenen Bubble zu teilen.
styleranking: Gelingt es schon, Themen abseits von Bubbles zu platzieren und zu diskutieren?
Oliver Jopke: Ich kann mir schwer vorstellen, dass sich “Bubbles” auflösen. Schau mich an: Ich weiß, dass Capital Bra und Co. Millionen-Reichweiten haben, aber mit dieser Welt habe ich keinerlei Berührungspunkte, weil ich mich damit nicht identifizieren kann.
Wir leben in Blasen und da herauszutreten, ist schwer. Draußen weht nämlich ein rauer Wind, in seiner Bubble aber ist man akzeptiert und geschützt. Das merken wir besonders, wenn wir mit einem Thema wie Pride in ein Mainstream Medium gehen.
Früher hatten Brands genau davor Angst, aber das ändert sich zum Glück. Marken trauen sich, eine politische Position einzunehmen. Das gehört zum Zeitgeist. Trotzdem bleibt es wichtig, über den Tellerrand zu schauen.
Ein Beispiel: Ich denke, sustainable Brands sollten auch mit Mainstream-Influencer:innen arbeiten und nicht nur mit solchen, die 100 Prozent Nachhaltigkeit propagieren. Damit kann man den Nachhaltigkeitsansatz an Orten fördern, wo er noch nicht existiert. Ähnliches gilt für Pride-Kampagnen, in die man auch Allys integrieren kann. Damit erreicht man Menschen Bubble-übergreifend.
"Es geht nicht darum, geliebt zu werden. Es geht um Akzeptanz"
styleranking: Wie verhaltet ihr euch als Management, wenn eure Influencer:innen - wie Strify kürzlich nach dem T-Online Interview - von Hate Speech betroffen sind?
Oliver Jopke: Creators, die mit Themen wie Pride, Feminismus und Co. rausgehen, haben oft ein dickes Fell. Uns ist bei solchen Interviews bewusst, was passieren kann. Aber Veränderung passiert nur, wenn wir den Weg dennoch gehen. Wer viel bewegt, erlebt den meisten Hass. Marsha P. Johnson ist dafür sicher ein gutes Beispiel.
Wenn Hate Speech aufkommt, versuchen wir mit unserer Bubble zu supporten. Ich teile Dinge auf meinem eigenen Kanal, aktiviere aber auch Kontakte. Ich motiviere und stelle immer wieder die Bedeutung solcher Aktionen heraus, um daran zu erinnern, warum wir das machen. Nämlich, damit dieser Hass eines Tages verschwindet. Es geht nicht darum, geliebt zu werden. Es geht um Akzeptanz.
styleranking: Was müssen Creators mitbringen, die jetzt auf den Markt kommen?
Oliver Jopke: Wir leben in einer Zeit, in der du so schnell viral gehen kannst, wie nie zuvor - schauen wir uns TikTok an. Vieles davon ist allerdings schnell wieder verschwunden. Deswegen wollen wir langfristig am Brand Image arbeiten - sowohl mit unseren Talents, als auch mit Marken. Virale Kampagnen mit kurzer Halbwertszeit interessieren mich nicht. Das Brand Image ist die spannende Herausforderung.
styleranking: Sind Nischen damit relevanter, als Kanäle mit allgemeiner Outfit-Inspo zum Beispiel?
Oliver Jopke: Tolle Ootds oder Reels mit hohen Reichweiten produzieren zu können, ist toll. Wichtig sind die Fragen: Will ich das langfristig machen und kann ich damit ein USP aufbauen? Oder folge ich einem Trend, der nur eine gewisse Zeit funktioniert?
Wer in den Markt strömt, sollte wissen, was ihn einzigartig macht. In neue Outfits hüpfen zählt nicht dazu.
Die Zauberformel lautet USP. Du musst offen für neue Dinge bleiben. Und du musst erkennen, wo du thematisch hin willst. Relevanz entsteht nicht über Trends, sondern über Identität.
"Wir motivieren, andere Perspektiven zuzulassen und zuzuhören"
styleranking: Welche großen Themen gehst du mit deiner Arbeit in Zukunft an?
Oliver Jopke: Ich freue mich darauf, weiterhin Kampagnen mit meinem Team zu realisieren, die Impact driven sind. Ich finde es toll, dass wir gemeinsam für die gleichen Themen brennen. Ich bin die einzig queere Person im Team, aber trotzdem haben alle diesen Drive und verstehen, wo wir hinwollen. Das macht mich sehr glücklich.
Brands zu beraten und das Aha-Erlebnis zu begleiten, ist eine tolle Erfahrung. Wir motivieren, andere Perspektiven zuzulassen und zuzuhören. Das ist sicher ein Grund dafür, dass wir im vergangenen halben Jahr um das Doppelte gewachsen sind.
Ich freue mich auf Events und auf unsere Pro-Bono-Kampagnen. Und darauf, neue Perspektiven kennenzulernen.Die kann ich optimal nutzen, um Kunden beratend zur Seite zu stehen.
styleranking: Vielen Dank für das Interview, Oliver.