Was die Flucht der Influencer:innen nach Dubai für Werbungtreibende bedeutet
Bereits wenige Tage nachdem sich Jan Böhmermann Influencer:innen mit Auswander-Ambitionen in die arabischen Emirate vorgenommen hat, etabliert sich “Dubai-Influencer” als feststehender Begriff. Und besagte Creators sind bei weitem nicht die einzigen, die sich im Laufe des vergangenen Jahres kurz- oder langfristig ins Ausland verabschieden. Urlaub auf Bali oder Reisen nach Spanien und Mexiko - auch in Zeiten des harten Shutdowns in Deutschland - sind bei Instagram Gang und Gäbe. Ist das okay? Und wie wirkt sich die ethische Fragestellung der Vorbildfunktion auf Kooperationen aus?
Wer in Corona-Zeiten reisen kann, mal eben seinen Wohnsitz nach Dubai verlegt oder im Shutdown eine dringend benötigte Auszeit im Ausland einlegt, verfügt vor allem über eines: Privilegien. Die können vielseitig ausfallen, etwa in Form von Zeit und Geld, Kontakten oder sozialem Status. Während das Leben zahlreicher Menschen aus Home Office und Spaziergängen, Existenzangst und Einsamkeit besteht, lassen es sich andere so richtig gut gehen - und scheuen sich nicht, das zur Schau zu stellen.
Haben Influencer:innen eine Vorbildfunktion?
Influencer:innen leben in der Regel davon, dass Follower:innen ihren Lifestyle aufregend und erstrebenswert finden und ihnen relevante Reichweite und Engagement bescheren. Darin liegt auch die Legitimation für Influencer Marketing. “Follower:innen bilden das Kapital. Erst durch sie werden Influencer:innen zu relevanten Kooperationspartnern”, analysiert Catarina Katzer, die am Institut für Cyberpsychologie und Medienethik in Köln arbeitet im Gespräch mit styleranking.
Nun liegt in der Gunst der Community nicht nur bares Geld, sondern möglicherweise auch Treiber individueller und kollektiver Verhaltensweisen. Das kann in einer Pandemie zum gravierenden Problem werden: “Menschen, die eher an sich denken, können Zweifel an gesamtgesellschaftlicher Solidarität auslösen. Warum sollte man selbst Rücksicht nehmen, wenn es die Vorbilder nicht tun? Die Verbreitung dieses Verhaltens durch die sozialen Netzwerke ist ein weiteres Problem. Es entsteht der Eindruck, viele denken und handeln so - die Follower:innen befinden sich quasi in einer Filterbubble“, ergänzt Catarina Katzer.
Derzeit wirkt die Pandemie wie ein Brennglas, geht es um die Unterschiede zwischen dem Alltag der Community und dem einiger Creators. Während die einen seit Monaten ihre Familien nicht sehen, laufen andere am Strand entlang. Wie also lässt sich hier Selbstinszenierung und Verantwortung unter einen Hut bringen? Die Grenze scheint schwer zu definieren.
Heimischer Garten oder mexikanisches Ressort?
“Wenn das Reisen in einem Rahmen bleibt, den die Community mit ihren ungeschriebenen Regeln akzeptabel oder motivierend findet, ist das vertretbar. Die Grenze liegt meines Erachtens in den Werten und Normen der Followerschaft, die sich über die Zeit herausgebildet hat,” sagt Thomas Levermann, Professor für Digital Management und Studiendekan für Corporate Communication im Gespräch mit styleranking.
Und dabei geht es Thomas Levermann zur Folge nicht einmal um Verantwortung, sondern vielmehr um die Stabilisierung des Status innerhalb der Community. “Ich denke, es geht für die typischen Influencer:innen weniger darum, ein „Vorbild“ zu sein - warum sollten sie das? Sie verfolgen unternehmerische Ziele ihrer eigenen Marke, ihrer Personal Brand.”
Die Gefahr, dass die Community regulierend eingreift, ist also durchaus existent. “Sich in solchen Zeiten am Strand im Luxusressort mit Longdrink zu zeigen, scheint vollkommen weltfremd und aus sozialer Sicht wirklich unsolidarisch. Wer da einen Shitstorm erntet, sollte sich nicht wundern”, sagt Catarina Katzer.
Von #stayhome zu #traveltheworld
Im Rahmen der neu entfachten Reisefreudigkeit vieler Influencer:innen tut sich ein weiteres Problem auf, das unter anderem Comedian Phil Laude thematisiert. Stichwort Glaubwürdigkeit. Erinnern wir uns kurz an den ersten Shutdown vor ziemlich genau einem Jahr. Zahlreiche Influencer:innen rieten damals zu “#stayathome”, “#staystafe” und “Vertreibt euch die Zeit daheim mit meinem neuen Rezept für Bananenbrot.” Nun könnte man anmerken, dass es sich hierbei nicht zwingend um die gleichen Influencer:innen handelt, die heute am Strand von Dubai liegen. Für das Image einer Branche, die viele als homogene Gruppe wahrnehmen, ist das allerdings unerheblich.
Wie Marken auf unsolidarisches Verhalten reagieren
Was bedeutet dieses ambivalente Verhalten nun für jene, die Influencer:innen für das Image ihrer Marke einkaufen? Hier wird der diskutierbare Begriffe ethischer Verantwortung schnell von harten Zahlen abgelöst. Marken nämlich müssen und werden auf ein vermeintlich unsolidarisches Verhalten reagieren. Denn: “Den positiven Effekt einer guten Reputation, also den Markenwert der Influencer:innen kaufen die Werbetreibenden, den negativen werden sie meiden, wie der Teufel das Weihwasser”, sagt Medien-Experte Thomas Levermann.
Das gilt auch in Zeiten der Pandemie. Obwohl kritische Stimmen zu Maßnahmen und Co. oft die Nachrichten bestimmen, trägt ein großer, schweigender Teil der Gesellschaft die Konsequenzen der Pandemie solidarisch mit. Für Marken ist es deshalb riskant, Produkte des täglichen Lebens anhand unsolidarischer Werbepartner zu inszenieren, Stichwort Halo-Effekt, wie Thomas Levermann im Gespräch betont.
Auch Catarina Katzer zeigt hierzu eine eindeutige Haltung: “Aus meiner Sicht sind Personen, die sich wissentlich verantwortungslos verhalten, kein geeigneter Werbepartner. Über einen einmaligen Fauxpas mit anschließender Entschuldigung kann man hinwegsehen. Ein ständiges Hinwegsetzen über die aktuell geltenden Regeln, ist aus ethischer Sicht unakzeptabel.”
Das Ergebnis: Privilegien ausnutzen ist dreifach problematisch
Zusammenfassend heißt das: Es lassen sich gleich drei Blickwinkel dafür finden, dass luxuriöse Auslandsaufenthalte aktuell keine gute Idee sind.
- Das Verhalten beeinflusst die Stellung in der Community negativ und schädigt damit das eigene Profil.
- Das Verhalten strahlt auf die gesamte Influencer-Branche ab und erschwert die Arbeit für alle Protagonist:innen - auch für die mit Verantwortungsbewusstsein.
- Das Verhalten verschreckt Kooperationspartner und zieht damit finanzielle Konsequenzen nach sich.
Solidarisch agieren kann das eigene Profil schärfen
Wir sprechen hier über ein überwindbares Problem. Eigentlich lässt sich das Dilemma ganz leicht lösen. Es kann sogar in ein positives Image transferiert werden. “Denn Bilder im heimischen Garten nach dem Motto #stayathome sind momentan angebrachter und können einen Candystorm auslösen”, sagt Catarina Katzer, “Hotelbetreiber:innen verlieren möglicherweise ihre Existenzgrundlage, weil ihnen quasi ein Berufsverbot auferlegt wird. Influencer:innen können ein positives Signal setzen, indem sie beispielsweise Ferien im eigenen Land im Voraus buchen und damit Menschen aus ihrer Community oder deren Angehörige aktiv und direkt unterstützen.”
Also: Bevor Influencer:innen ihre Privilegien selbstwirksam inszenieren, können diese alternativ darüber nachdenken, wie sich die eigenen Vorteile sinnvoll nutzen lassen. Optionen existieren ausreichend.
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